Als wir zum ersten Mal davon hörten, konnten wir es kaum glauben. Irgendwo dort draußen sollte es sein. Ein magischer Ort, voll mit riesigen Sprungtürmen und Schanzen, Hips und Whips, versunken Bauten, skurillen Bewohnern, selbstgebauten Pizzaöffen und Teichen, in denen Enten ihre Eier werfen. Einem Ort, den man sich der Beschreibung nach irgendwo in der Nähe von Whistler oder den Weiten der Rocky Mountains vorstellen würde, aber nicht im urdeutschen Rheinhessen, direkt am Rhein, wo man eigentlich nichts anderes als Weinberge und Obstplantagen kennt.
Konnte das wirklich sein? Unser Navi für seinen Teil ist entsetzt. Es warnt eindringlich mit einem “Offroad, bitte wenden” davor, weiter dem ausgewaschenen Feldweg zu folgen. Aber die Koordinaten sollten stimmen. Wir folgen dem Weg weiter, der parallel einer Bahntrasse entlang führt und enden vor einem verschlossenen, verfallenen Tor. Endstation.
Der Blick durch die Löcher im Tor lässt uns weiter zweifeln. Es wirkt wie der Abstellplatz eines Bauunternehmens. Wir sehen nur eine geschotterte Fläche, auf der sich Hügel von Schutt und Geröll finden. Dahinter eine üppige Vegetation, die an einen Urwald erinnert. Eher verwildert und verlassen als die Heimat eines privaten Slopestyle Parks.
Es dauert nicht lange, und wir hören aus der Ferne ein Rumpeln. Ein alter Kombi japanischer Herkunft kommt den Feldweg hinunter und nähert sich dem Tor. Hinter dem Steuer erscheint unter einem Beanie ein breites Grinsen und wir wissen, das wir richtig sind. Max Mey, einer der derzeit besten deutschen Slopestyler öffnet uns die Tore zu dem Ort, den wir uns nicht einmal vorstellen konnten – Chesyland.

Ein erster Rundgang
Die ersten Eindrücke lassen uns sprachlos zurück. Ich weiß nicht genau, mit was ich es vergleichen soll. Es ist wie dein erster Besuch im Vergnügungspark, dein erstes Mal Eiscreme, dein erstes paar Brüste, dass du zu Gesicht bekommst. Du stehst einfach nur mit offenem Mund da und weißt nicht, was du als erstes tun sollst, weil du alles gleichzeitig willst.
Kaum auf dem einige Hektar großen Gelände sehen wir den Beginn einer riesigen Slopeline. Die meisten Sprunghügel sind abgedeckt, um sie vor der Witterungs zu schützen, und es wird deutlich, dass hier nicht irgendwer zum Spaß baut. Am Ende der Line zeichnet sich ein abenteuerlich aussehender acht Meter hoher Sprungturm ab, den man im ersten Moment auch für einen mittelalterlichen Belagerungsturm halten könnte. Er wirkt nicht sonderlich vertrauenserweckend, eher bedrohlich, und der Eindruck verfestigt sich beim Näherkommen.


Beim Aufstieg fehlen die Geländer, die Trittbretter erscheinen morsch und knarzen bei jedem Schritt, was den Adrenalinpegel schon vorzeitig in die Höhe treibt. Wir warten auf den Windstoß, der uns mitsamt der Konstruktion in die Tiefe reißt. Max bleibt cool. “Alles TÜV-konform.”, bemerkt er mit einem Grinsen. Dass er sich hier jedesmal mit seinem Dirtbike hochschleppt, und sich dann auch noch hinunter stürzt, treibt uns die Schweißperlen auf die Stirn.
Auf einer Zwischenplattform angelangt bekommen wir einen kleinen Ausblick auf das Gelände. Der Eindruck von einem Urwald bleibt, und wird nur unterbrochen von diversen Sprunghügeln und kleinen Holzbauten, die aus der Vegetation ragen. Das ganze wirkt, als wäre man auf eine untergegangene Stadt gestoßen. In der Mitte des Geländes finden sich zwei große Teiche, die den Eindruck von Naturbelassenheit nur noch verstärken. Wäre da nicht die riesige Line mit Big Jumps, die sich hinter einem der Teiche abzeichnet und in einem der Videodrehs von Max die Hauptrolle gespielt hat.
Am Limit perfekt gestanden
Max grinst nach wie vor und freut sich, uns einen Einblick in sein Reich zu geben. Hier verbringt er den größten Teil seiner Zeit. Wenn er nicht trainiert, baut und shaped er die Elemente, reißt alte ab und errichtet neue. Einige Sprünge stehen schon seit Beginn seiner Ära, andere sind neuern Datums.
Für Max macht das Biken nur die Hälfte seines Wesens aus. Die andere Hälfte ist das eines Builders. Zu verstehen, wie ein Sprung funktioniert, macht für ihn viel aus. Etwa zu erkennen, wieso ein anders geshapter Sprung auf einem Content nicht so funktioniert, wie er sich das vorstellt. Aber damit einhergehend auch die Fähigkeit, seinen Trick so anzupassen, dass er funktioniert. Es geht darum, immer das Optimum aus den gegebenen Umständen herauszuholen.
Den Eindruck, dass Max nicht nur beim Springen und Bauen nach Perfektion strebt, bekommt man schnell. Er arbeitet mit einem Mentalcoach zusammen, passte seine Ernährung vegan an und betreibt Ausgleichssportarten hauptsächlich, um beim Slopestylen noch besser zu werden. Das beste Gefühl, dass er sich vorstellen kann? Ein Sprung, der am Limit perfekt gestanden wurde.
Natürlich gibt es auch andere Facetten in Maxs Leben. Wenn er uns etwa mit beinahe kindlicher Freude seinen selbstgebauten Pizzaoffen zeigt, möchte man ihn am liebsten in den Arm nehmen. Oder wenn er uns von den Storys erzählt, die sich schon in Chesyland abgespielt haben, die nicht immer etwas mit Biken zu tun haben.

Bei unserem Streifzug über das Gelände kommen wir an Komposthaufen und einem Übungsplatz mit einem riesigen Luftkissen vorbei. Und an zahlreichen kleinen Hütten, die sich in die Vegetation einfügen. Als würden sie genau hierhin gehören. Eine kleine Werkstatt, die Hütte von Pete Henke, der einst mit Max das Slopestylen perfektioniert hat, oder das Zirkuszelt, das eine Halfpipe beherbergt, über der ein Kronleuchter schwebt. Die Eindrücke, die man bekommt, sind schon beinahe surreal.
Dietmar, genannt Chesy
Besser wird es nur noch, als wir Chesy begegnen. Chesy, der laut Personalausweis Dietmar heißt, aber auch nur da. Der zwei oder drei Wohnwagen und eine selbstgebaute Hütte bewohnt und direkt im Herzen der Anlage vor einem Teich sein Lager aufgeschlagen hat. Der eigentliche Herr dieses Areals. Die langen, grauen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, auf einem etwas fülligen, dem Wohlstand und Rente angemessenen Körper, der von einem Pink Floyd Longsleeve bedeckt wird, begegnet er uns wie eine Mischung aus Weihnachtsmann und Tommy Chong.


Wir stehen im Nieselregen unter einem Sonnenschirm vor seinem Teich, beobachten die Villa Duck mit ihren Bewohnern und das Kajak, das sich seit einigen Jahren halb versunken weigert, weiter seiner Bestimmung zu folgen, während Rotmilane über dem Himmel kreisen. Ich kann mich nicht mehr genau an die Musik erinnern, die Chesy aufgelegt hat, irgendeine Melodie, die zu dem Moment und der Ruhe, der er innehatte, nicht besser hätte passen können und durch die Luft schallte.
Chesy gehört zu den Menschen, die du auf den ersten Blick in dein Herz schließt. Ohne ins esoterische übergleiten zu wollen, aber diesen Menschen umgibt eine Aura und positive Energie, der man sich einfach nicht entziehen kann.


Sofort werden wir von ihm in ein Gespräch verwickelt, welches sich um alle Themen gleichzeitig dreht. Etwa die Geschichte von Chesy selbst, der aus Usedom stammt und zu DDR-Zeiten irgendwann auf einer abenteuerlichen Flucht in den Westen gelangte. Oder wie er in den Besitz von Chesyland gelangte. Und natürlich die Storys über Max und Pete, wie er die beiden kennen lernte, wie er begeistert war, was die beiden vorhatten und wie er ihnen in Chesyland einen Raum gab, um sich zu verwirklichen. All den Leuten, Slopestylern, Bikern, Fotografen, Sponsoren, die zu Besuch waren und von Chesyland mindestens so begeistert waren wie wir es sind. Eine einzige große Familie.
Beinahe wehmütig machen wir uns auf den Rückweg zum Tor. Als wir auf den Schotterplatz einbiegen, auf dem wir unsere Autos geparkt haben, läuft uns Peter Henke über den Weg. Er ist gerade dabei, hier eine Hütte für einen Rave auszubauen und schleppt mit ein paar Freunden Baumaterialien zusammen. Wie könnte man Chesyland nicht lieben.
Words: Dennis Haas | Photos: Sven Hasselbach

